SEBASTIAN WISWEDEL
  ARCHITEKTUR  TEXTE  PROJEKTE  VITA  KONTAKT
Abfall und Architektur
Abfall
15
Abfall
27
Abfall
30
Abfall
10
Abfall
36

Katastrophen

Oft begegnen wir sehr plötzlich Dingen, die wir als Abfall einstufen. Wir sind auf diese Begegnung nicht vorbereitet, haben sie nicht initiert und können sie auch nicht steuern, darum nenne ich diese Art Katastrophe. Wir sehen Abfall nicht nur wenn er deutlich so zu erkennen ist, sondern auch wenn er als Ding noch im Gebrauch und anscheinend nützlich ist.

Deutlich zu erkennen ist Abfall immer dann, wenn er uns stört. Störung entsteht für uns wenn etwas mit seiner Umgebung nicht zusammenpasst, wenn der Kontext in dem etwas ist, falsch ist. So “gehört³ eine gebrauchte Dose in die Abfalltüte und nicht in das Regal. So ist der Müllsack auf dem Gehsteig falsch und auf der Mülldeponie richtig. Abfall meint hier nicht die Dinge selber (Müllsack und Dose) sondern den besonderen Zusammenhang mit dem Ort an dem Sie sich befinden (Strasse oder Mülldeponie). Oder auch: Abfall ist Materie am falschen Ort. Liegt der Abfall an seinem “richtigen³ Ort beunruhigt er uns kaum noch, denn wir werden ihm erst garnicht gewahr. Bei diesen unvorhergesehen Begegnungen ist die Relation zwischen der Materie und ihrem Kontext entscheidend. Diese Beziehung ziehen wir aber selber, sie wird nicht in dem obigen Sinne als Ware produziert, sondern entsteht irgendwie in unserem Kopf.(-> 15)

Etwas anderes ist es, wenn wir plötzlich auf ein Gebäude stossen, das wir als sehr hässlich, ekelhaft, falsch oder dumm bezeichnen. Man wird vielleicht zum Wunsch kommen es abzureissen oder es erst garnicht erlauben zu bauen. Wenn wir in einer Position wären, entsprechenden Einfluss auszuüben, würden wir vielleicht alle Versuche unternehmen dieses Gebäude zu verhindern. Alle diese Dinge die man so bezeichnet, die man also ablehnt, die man am liebsten wieder aus seinem Gesichtskreis entfernen möchte, können auch als Abfall bezeichnet werden. Denn Sie weisen zwar nicht objektiv die Attribute von Hausmüll (-> 45) auf, aber sie werden mit diesen belegt und und mit ihnen wird genauso verfahren. Oder wir wünschen uns jedenfalls mit ihnen einfach so verfahren zu können.

Es ist entscheidend zu sehen, dass bei diesen Begegnungen nicht das Ding (das Gebäude) der Abfall ist, sondern dass meine Anschauung es als Abfall einordnet. Ein gutes Beispiel für diese Form der katastrophenartigen Begegnung ist die Disskussion um das Gehry-Gebäude in Düsseldorf.(-> 27)

Direkt neben den Gehry-Gebäuden passiert Ähnliches, hier verändert sich die Anschauung über einen ganzen Stadtteil. Das Gebiet zwischen Unter-Bilk und dem Hafen, war lange Jahre reines Arbeiterwohngebiet, die Häuser einfach und billig gebaut. Mit der »Aufwertung« des Hafengebietes zu einem Dienstleistungs-und Unterhaltungs - areal, verändert sich auch die Bewertung und Sozial-Struktur dieses Gebietes. Was vorher als minderwertige Lage galt, ist jetzt plötzlich der Standort hochkarätiger Nutzungen. Jedenfalls zum teil, denn die Wohnungen entsprechen trotzdem noch nicht dem zur Zeit wertvollem Standard eines Gründerzeit-Altbaus mit hohen Decken und Holzfussboden. Aber die Umnutzung der Flächen um die ehemalige Minotankstelle ist dafür schon ein gutes Beispiel. (-> 30)

Von daher ist die erste Erklärung vom Abfall als Materie am falschen Ort noch zu erweitern. Abfall erscheint uns dann, wenn etwas mit unserer Anschauung kollidiert. Falsch ist die Materie dann, wenn sie nicht in unsere Sicht der Dinge hineinpasst.

Nicht mehr die Verschiebung von Attributen kenzeichnet alleinig den Abfall sondern eine Einpassung in ein Norm- und Werte System einer kulturellen Gemeinschaft. Abfall ist in diesem Sinne etwas, was von diesem Wertesystem abgesondert wird, um es nicht zu gefährden.

Aber wo wird es dann eingeordnet und was passiert weiterhin mit diesem Abfall?

Nach Thompson {1} kann man Abfall als verschiebliche Grenze zwischen den Bereichen Vergänglich und Dauerhaft einordnen. Ich will darauf etwas näher eingehen, weil diese Behandlung von Abfall als eine Art von Grenze auch die Möglicheiten von Veränderungen beschreiben kann. Die Kategorie des Abfalls ist der Übergang von einer Menge von Objekten, die Aktuell sind zu einer Menge, die Ewig ist. Es ist ein gerichteter Übergang:

Vergängliches	-> Abfall	-> Dauerhaftes.
-> 10           -> 15           -> 27

Das ist aber eine Grenze die wir durch unsere Kognition bestimmen. Das bedeutet, wir nehmen schon ein sozial bearbeitetes Objekt wahr. Wir selber treffen natürlich die Entscheidung Abfall-kein-Abfall, aber woher kommt die Weltanschauung, die uns Entscheidungen treffen lässt? Für Thompson als Soziologen, ist die Weltanschauung auch immer eine Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten, die vom sozialen Umfeld und kulturellen Kontext geliefert werden. Auf irgendeine Weise wählen wir eine bestimmte Weltanschuung aus, die andere ausschliesst. So sind die Positionen bei dem Streit um das Gehry-Gebäude, ganz augenscheinlich Teil unterschiedlicher Weltanschauungen, bei denen man aber kaum klären kann woher sie kommen, man kann sie aber über deren Einordnung des Abfalls gut beschreiben, denn jede könnte angeben, wo sie die Grenze zum Abfall gezogen hat. Hier wird also Abfall zu einem Kriterium bei der Beschreibung von sozialen Interaktionen. Abfall ist daher ein universelles, allgemeines Merkmal sozialer Systeme. In diesem Sinne ist auch gemeint, dass Abfall Objekte am falschen Ort sind, denn plötzlich existieren diese Objekte in unserer Weltanschauung, in die sie nicht gehören.

Aber dieser Bereich des Abfalls ist auch geschichtlich. An der Veränderung der Bewertung der Minol-Tankstelle (-> 30) sieht man die Möglichkeit der Verschiebung der Grenze Abfall. Sie kann sich im Laufe der Zeit verändern. Das bedeutet, das es in unserer Weltanschauung einen Bereich feststehender Annahmen und einen Bereich der Flexibilität gibt. Wir können also die Grenze verändern und ordnen dadurch unsere Anschauungen neu. Nach Thompson ist dies eines der Merkmale des gegenwärtigen sozialen Systems, das es Transfers von Objekten über die Wertung Abfall erlaubt und gleichzeitig Dinge des Abfalls versucht zu verstecken.

Mich interressiert vor allem die Einbeziehung der Möglichkeiten der Veränderung dieser Grenze Abfall. Thompsons These ist es, dass diese Veränderungen sowohl plötzlich als auch allmählich geschehen. Es gibt praktisch immer Tendenzen, die sowohl in Richtung Veränderung als auch welche, die in Richtung Beständigkeit arbeiten. Das heisst wir entscheiden über Faktoren, {die Meinungen, Objekte, Gebäude und Architektur sein können}, die einerseits die Erhaltung der Grenze oder die Aufhebung der Grenze zum Ziel haben. Nimmt die Zahl aufhebenden Faktoren gegenüber den der beständigen zu, wird irgendwann eine Veränderung eintreten. Dies geschieht aber nicht linear (etwa: ab 50% Aufhebung tritt eine Veränderung ein), sondern diesen Übergang könnte man als Katastrophenhaft beschreiben. In der Tat verwendet Thompson bei der Beschreibung dieser Phänomene das mathematische Modell der Katastrophentheorie. Das bedeutet, das ab einem bestimmten Grenzwert das Modell (die Weltanschauung) sich plötzlich, katastrophenhaft, verändern kann. Und innerhalb einer neuen Ordnung das Spiel von vorne anfängt. (z. Bsp: 15 -> 27) siehe auch:

 -> 15-> 36-> 31
Diese katastrophalen Begegnungen sind also gerade die interressanten Anschübe, die zu Veränderungen und Grenzverschiebungen führen können. Will man denn kreativ sein, muss man Katastrophen zulassen. Oder anders gesagt, eine Beschreibung von Kreativität ist die Katastrophe.