(Bild: Eduard Koegel )
Neue Marktwirtschaft in China
Mit der programmatischen Metaphorik einer volkstümlichen
Redeweise durch Deng Xiaoping, „es macht nichts, ob die
Katze gelb oder schwarz ist, solange sie nur Mäuse fängt“
1 wurde in den achtziger Jahren eine neue Phase der chinesischen
Politik mit Schwerpunkt auf wirtschaftliche Effektivität
und Ökonomie eingeleitet. Mit der „Politik der offenen
Tür“ übernimmt China das kapitalistische Marktmodell
der Weltwirtschaft und wird somit zu einem ökonomischen und
soziokulturellen Laboratorium. Schauplatz dieses Experiments sind
vor allem die Städte und die neuen Sonderwirtschaftszonen.
Durch Abkehr von der Planwirtschaft und einer daraus resultierenden
wirtschaftlichen Liberalisierung sollen nun Effektivität
und technisches Wissen den Sozialismus Chinas ökonomisch
stärken. Diese Ideologie nutzt die Marktwirtschaft im Dienste
des Kommunismus. Chinas Binnenwirtschaft wächst zur Zeit
weltweit am schnellsten. Die ungleiche Verteilung des Geldes vergrößert
stetig die Kluft zwischen armer Landbevölkerung und städtischen
Reichen.
Chinesische Stadtproduktion
Wichtige Stadtentwicklungsreformen, wie die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen,
und Dengs wirtschaftliches Programm eines „Sozialismus mit
chinesischem Charakter“ werden zeitgleich eingeleitet. Nach
der antistädtischen Haltung der maoistischen Ära, die
das kollektive Leben auf dem Land propagierte, wurde ein bis heute
andauerndes Städtewachstum entfacht. Die Zahl der Städte
ist von 1980 bis 1995 um fünfhundert Metropolen gewachsen,
darunter sind drei Dutzend Millionenstädte. Die Architektur
setzt sich aus einem bizarren Mischmasch von Glasfassaden und
Steinplatten zusammen, die in einer scheinbar unendlichen Menge
von postmodernen Stilen variiert. Die Geschwindigkeit der Bautätigkeit
ist enorm. Die Verschwendung von Ressourcen, Verlust von Agrarland
und Umweltverschmutzung sind die Konsequenzen eines verzweifelt
vorangetrieben Fortschritts. Die sehr unterschiedlichen Erscheinungen
der modernen Architektur Chinas können laut dem chinesischen
Architekten Stan Fung als „Erschaffung einer nationalen
Allegorie von Fortschritt und Entwicklung“ 2 interpretiert
werden. Mit der Übernahme des westlichen Marktmodells wird
nun auch dessen ästhetische Oberfläche beansprucht.
Die Fassaden der meisten neuen Gebäude werden durch ihre
amerikanisch anmutenden postmodernen Versatzstücke zu einer
visuellen Entsprechung für die sozialistische Marktwirtschaft.
Revolving restaurants everywhere
Die politische Steuerung innerhalb der Stadtentwicklung ist trotz
der wirtschaftlichen Liberalisierungsansätze sehr durchschlagskräftig.
Die Rigorosität, mit der auf nationaler Ebene Städte
und Sonderwirtschaftszonen ausgewiesen werden, setzt sich im städtischen
Maßstab mit der Umnutzung riesiger Areale fort. Ein Beispiel
dafür ist der neue Olympiapark in Peking. Zu dessen Verwirklichung
wurden die Bewohner des zu bebauenden Stadtviertels für den
Abriss ihrer Häuser enteignet. Diese Vorgehensweise ist den
Chinesen nicht fremd, schon 1966 forderte Mao „destruction
for construction“. Dengs Besichtigung der Sonderwirtschaftszone
Shenzen im Jahre 1992 prägt einen neuen Mythos. Er nennt
ein rotierendes Restaurant als das wichtigste Gebäude der
Zone und zeigt somit auf die in Architektur symbolisierte Modernität
Chinas und ihren wirtschaftlichen Erfolg. Der vielfach multiplizierte
Bautypus des „revolving restaurant“ prägt seitdem
das Stadtbild. Dengs Aussage wird kritiklos übernommen, die
verordnete Bauweise führt zu einen uniformen und homogenen
Stadtraum.
„Stadt der verschärften Differenz“
Rem Koolhaas und die China-Group haben in ihrem Beitrag zur Entwicklung
des Pearl River Deltas die nach rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten
explodierende Stadt analysiert. Die Stadtstruktur wird als eine
sich dauernd ändernde Akkumulation beschrieben, die sich
aus extrem unterschiedlichen Teilen zusammensetzt. Ihr Ansatz
einer „Stadt der verschärften Differenz“ 3 versucht
gerade nicht nach einer umfassenden Erklärungsformel zu suchen,
sondern „begnügt“ sich, eine schier unüberschaubare
Anzahl von Fakten und Einzelaspekten zusammenzutragen. Die mit
Hochgeschwindigkeit wachsenden Städte sind nicht mehr mit
dem herkömmlichen Terminus „Stadt“ zu beschreiben,
stattdessen spricht Rem Koolhaas von einer „contemporary
urban condition“ .
Wohninseln
Die städtebauliche Struktur der divergierenden Teile Pekings
wurde von Barbara Münch mit einer historischen Kontinuität
im Bauwesen erklärt 4. Sie beginnt mit der Clan-orientierten
Quartierskultur der Hofhäuser, die über Jahrtausende
währt und beschreibt weiter die kommunistischen Arbeitseinheiten
„danwei“ und die als„ micro-residential districts“
bezeichneten Anlagen von heute. Diese sogenannten„ micro-residential
districts“ (xiaoqus) sind räumlich separierte und von
Mauern umgebene Wohnanlagen, die eine vielfältige Infrastruktur
aus Freizeit-, Konsum- und Verwaltungseinrichtungen aufweisen
und somit einen Bereich umfassen, den die Bewohner nur noch zur
Ausübung ihres Berufes verlassen.
5000 Jahre China
Die Olympischen Spiele 2008 werden die urbane Entwicklung Pekings
weiter antreiben und beschleunigen. Dieses Ereignis wird von China
mit Ausrichtung auf "grüne Spiele, Spiele der Hochtechnologie,
Spiele für das Volk" nach außen mit einem modernen
und offenen Charakter präsentiert. Peking wird somit Aushängeschild
und Repräsentant einer neuen chinesischen kulturellen Identität.
Die über 5000-jährige Geschichte Chinas ist eines der
großen Leitmotive für die Selbstdarstellung während
der Olympiade. Zusätzliche Kampagnen sollen die „Agenda
21“ des IOC umsetzen, welche eine nachhaltige Entwicklung
der Umwelt und eine politische und soziale Verbesserung im Land
fordert. Ein Ziel lautet dabei, die „urbane Zivilisation
der Stadt weiterzuentwickeln“ 5, und führt im chinesischen
Aktionsplan leider nur zu Verbesserungen der Englischkenntnisse
und Höflichkeitsformeln. Damit nutzt die chinesische Führung
die politischen Möglichkeiten der „Agenda 21“
nicht. „Verglichen mit den ökonomischen Reformen, fällt
unser politisches System weit zurück“ 6 schreibt Zhou
Ruijin, der frühere Chefredakteur der Parteizeitung People´s
Daily. Die Auswirkungen der Olympischen Spiele zeigen sich vor
allem durch einen weitläufigen Stadtumbau, der bereits begonnen
hat. Beispiele hierfür sind eine kulturelle Neudefinition
der fünf Kilometer langen Zentralachse, der olympische Park
im Norden der Stadt, eine neue Ringstraße und die Initiierung
von Denkmalschutzprojekten.
Ausblick auf eine neue chinesische Architektur?
„Es bietet sich für Architekten nicht nur die Chance
zu bauen, sondern auch aktiv an der Gestaltung des modernen Chinas
teilzunehmen“ 7, äußert sich der in Peking ansässige
Architekt Chang Yung Ho in der Architekturzeitschrift archplus.
Durch das Bewußtsein für die eigene Geschichte und
den Forderungen nach politischen Reformen kann Chinas Kultur und
Gesellschaft einen tiefgreifenden Wandel erleben. In diesem Zusammenhang
beruht eine neue chinesische Architektur auf anderen Kriterien
als die der Marktkonformität und Profitgier, nämlich
auf historischen und sozialen Inhalten. Sie beeinflußt,
durch die Geschwindigkeit mit der sie Gebäude produziert,
unmittelbar den gesellschaftlichen Diskurs und kann Vorreiter
eines kulturellen Wandels sein.
500 Millionen Chinesen mehr
Die neuen architektonischen Planungen der städtischen Behörden
werden, trotz vorhandener alter Stadtstrukturen, rapide umgesetzt.
Diese intensive bauliche Phase bietet die Gelegenheit, die Metropole
in einem Umbruchzustand zu beobachten. Mein Fokus liegt dabei
nicht auf den großen olympischen Bauten, sondern auf Entwicklungen
in der allgemeinen Baukultur. Die mit internationaler Beteiligung
betriebenen Bauvorhaben der Stadien und Sportstätten werden
anderswo genau besprochen. Mich interessieren die rasend wachsenden
Wohnanlagen, die den eigentlichen urbanen Raum Pekings bilden.
Nach offiziellen Angaben soll bis zum Jahre 2030 die Zahl der
Stadtbewohner von zur Zeit 370 Millionen auf 880 Millionen steigen.
Zusätzlich wird der Druck auf die Wohnsituation durch eine
sogenannte „floating population“ erhöht. Neben
der registrierten Stadtbevölkerung leben in Peking etwa drei
Millionen illegale Wanderarbeiter. Der rasche Anstieg der Einwohnerzahl
und die dafür benötigten Wohnquartiere sind die wichtigsten
Fliehkräfte des Stadtwachstums. Le Corbusier hat darauf hingewiesen,
dass „die Schaffung einer Wohnung als ein Werk der menschlichen
Erfindungsgabe: Ethik und Ästhetik zugleich “ 8 ist.
Der Wohnungsbau ist ein Beleg für den gesellschaftlichen
und architektonischen Zustand eines Landes und seit jeher Experimentierfeld
für grundlegende Veränderungen der Architektur.
Arbeitsvorhaben und Zeitplan
Wieviel Zimmer sind genug?
In China werden auf Baugrundstücken Ausstellungspavillons
der Maklerfirma errichtet, in denen Ansichten, Modelle und vorbildhafte
Inneneinrichtungen der zu verkaufenden Immobilie zu sehen sind.
Die Gestaltung dieser Showrooms und die ansprechende visuelle
Vermittlung von Architektur sind ein Spiegel der allgemeinen Baukultur,
in der man in komprimierter Form sowohl die Wünsche und Bedürfnisse
der Käufer, als auch Gestaltung und Bautechnik der Architektur
ablesen kann. Ich möchte diese Ausstellungspavillons auf
der Suche nach einem innovativen Wohnungsbau aufsuchen und fotografisch
dokumentieren. Des weiteren plane ich Bewohner und Architekten,
speziell Herr Chang Yung Ho (Büro Feichang Jianzhu) und Herr
Ma Qingyuan (Büro MADA) in bezug auf folgende Themen zu interviewen
und die Aussagen zusammenfassen:
1. Historische Kontinuität
Traditionelle Hofhäuser (siheyyuans) haben Pekings Stadtbild
bis zum Kommunismus geprägt. Sie werden aktuell von Hochhauszonen
und uniformen Appartementhäusern der sogenannten „micro-residential
districts“ ersetzt. Die Anlage der Hofhäuser beruht
auf definierten sozialräumlichen Trennungen und rechtwinkligen
Raumsequenzen. Anstelle der „Tabula Rasa“ Methode
stellt die zeitgemäße Überführung dieser
städtischen Wohnform ein architektonisches Umdenken dar.
Beispiel hierfür ist das Projekt eines Hofhausteppichs in
Peking, realisiert 2001 von dem Architekturbüro Feichang
Jianzhu. Wie sind historische Kontinuität, Geschwindigkeit
des Bauens und Marktkonformität in Einklang zu bringen? Kann
das städtebauliche Gefüge der Hofhausquartiere für
den gestiegenen Wohnraumbedarf der Metropole methodisch angeeignet
werden?
2. Informeller Urbanismus
Der Wohnungsbedarf der sozial schwachen „floating population“
wird von der chinesischen Führung nicht debattiert. Im Gegenteil,
der soziale Wohnungsbau wurde eingestellt und privaten Maklern
oder Investoren überlassen. Armut, fehlende soziale Sicherheit
und mangelnder Wohnraum führen zu einem informellen Urbanismus,
der durch bauliche Selbsthilfe und illegale Strukturen geprägt
ist. Dabei werden sowohl die Zeilenbauten der 1950er bis 1970er
Jahre, als auch die alten Hofhausquartiere mit einer Vielzahl
von improvisierten Anbauten verändert. „Egal wie groß
die Wohnung ist, sie ist immer ein Raum zu klein “ besagt
ein chinesisches Sprichwort und ermutigt damit die Bewohner zum
maßgerechten Umbau ihrer zu kleinen Räumlichkeiten.
Uniforme Architektur wird so individualisiert und erzeugt eine
kleinteilige Stadtstruktur. Wo liegen die Vorteile dieses dynamischen
städtebaulichen Prozesses? Wie können durch sensible
und qualitative Maßnahmen die hygienischen und infrastrukturellen
Mängel dieser Stadtstruktur beseitigt werden?
3. Mutation der „micro-residential districts“
Die einzelnen Wohngebäude der „micro-residential districts“
sind keine architektonischen Einzelentwürfe, sondern Baukörper,
die innerhalb eines ummauerten Areals als exakte Kopien vielfach
nebeneinander gestellt werden. Diese Quartiere verstehen sich
nicht als Teil des Stadtraumes, sondern als abgeschlossene und
autonome Zellen, die keinen öffentlichen Raum bilden. Trotzdem
führt die gemeinschaftliche Nutzung zu einem Gefühl
der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gebiet und zu einer
Gruppe von Menschen. Wie können diese Wohnquartiere in eine
flexible und lebendige Stadtstruktur eingegliedert werden und
dabei widererkennbar für die Bewohner bleiben? Welche Strategien
können entwickelt werden, um die uniforme und homogene Architektur
der abgeschlossenen Wohnquartiere für individuelle Bedürfnisse
der Bewohner aufzubrechen? Gibt es ein Potential für städtebauliche
Veränderungen der „ micro-residential districts“
durch Aneignung der kleinteiligen Struktur eines informellen Urbanismus?
4. Der Baukasten
Durch Kontakt zu den Bewohnern werden die verschiedenen Materialien,
die der baulichen Verwirklichung von individuellen Bedürfnissen
dienen, ermittelt und gesammelt. In einem von mir zusammengestellten
Baukasten sollen diese Gegenstände aus dem Zusammenhang der
alltäglichen Benutzung in eine Präsentationsform überführt
werden. Die einzelnen Bestandteile der informellen Architektur
werden so sichtbar gemacht. Der Baukasten wird zum benutzbaren
Objekt für ein anschauliches Verständnis urbaner Strategie.
Der artifizielle Blick des Baukastens soll beispielhaft auf die
sich ständig ändernde Akkumulation der Metropole hinweisen.
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1 Deng Xiaoping: How to Restore Agricultural Production
2 Stan Fung, Zhao Yang: Kommende chinesische Architektur, archplus,
Februar 2004
3 Rem Koolhaas: The Great Leap Forward, Harvard Design School,
2001
4 Barbara Münch: Verborgene Kontinuitäten des chinesischen
Urbanismus, archplus, Februar 2004
5 UN Conference on Enviroment and Development: The Generic Principles
of the Olympics Movements Agenda 21
6 Zhou Ruijin: Rumbles for Reform are Heard in China, in: The
New York Times, August 30, 2004
7 Chang Yung Ho: Das Büro Feichang Jianzhu, archplus, Februar
2004
8 Le Corbusier: Der Modulor, DVA, 1985