SEBASTIAN WISWEDEL
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HAHA
Stowe aus der Vogelperspektive
der Park von Stowe aus der Vogelperspektive
Stowe aus Vogelperspektive
das Grundprinzip des Haha
View from Gibbs Building
Blick von „Gibb’s Building”

Im Jahr 1711 erhielt der Gärtner Charles Bridgeman den Auftrag von Lord Cobham zur Neugestaltung der Parkanlagen seines Landhauses Stowe in Südengland. Ziel war das hundert Hektar große Areal in seiner Gesamtheit zu verändern und so einen neuen Ort des guten Geschmacks und der öffentlichen Repräsentanz zu schaffen.
Steht man auf der Terrasse des Hauptgebäudes, schweift der Blick in Richtung Süden, über die Elysischen Felder und dem Octagon See, hin zu dem Tempel der Venus. In der Ferne erblickt man die Ruine eines Triumphbogens. Der Ausblick auf die hügelige Parklandschaft lädt zu ausgedehnten Spaziergängen ein.
Ein Weg führt von der Rotunde über mehrere Brücken entlang eines Flußlaufes zum Venustempel. Die Landschaft erstreckt sich von diesem Aussichtspunkt weit in die Ferne. Der Besucher ist von der Weite und Großzügigkeit des Anwesens beeindruckt und will seine Wanderung daraufhin in die umgebenden Wiesen und Wälder ausdehnen.
Wenige Schritte vom Tempel entfernt zeigt sich jedoch plötzlich ein tiefer und unüberschreitbarer Graben im Boden. Der Spaziergänger erfährt hier das unerwartete Ende seines Ausflugs.
Die bisherige Wahrnehmung von der Grenzenlosigkeit des Anwesens stellt sich jetzt als eine subtile Täuschung dar. Der Graben begrenzt die eigentliche Parkanlage. Der nachfolgende überraschte Ausruf "A-ha" oder "Ha-ha" wurde zum allgemeinen Fachterminus in der Landschaftsarchitektur.

"what adds to the bewty of the garden ist, that it is not bounded by walls, but by a Ha-ha, which leaves you the sight of the bewtiful wooded country, and makes you ignorant how far the high planted walks extend." (Lord Perceval, 1724)

Bis zur Entstehung des englischen Landschaftsparks beschrieben Mauern die visuelle und räumliche Grenze, in der sich Gärten als abgeschlossene Einheit darstellten. Dagegen wird in Stowe jede sichtbare Mauer und jeder Zaun vermieden. Bridgeman benutzt hier erstmals in der Gartengestaltung eine Methode des italienischen Festungsbaus. Als Bollwerke gegen das neuartige Kanonenfeuer wurden dort niedrige Wälle und großräumige Befestigungsanlagen entwickelt, die nur schwer zerstört werden konnten.
In Stowe sollen dagegen grasende Rinder und Pferde am Betreten der eigentlichen Parkfläche gehindert werden. Für die Umzäunung des Parks wurde die Befestigungstechnik der sogenannten Bastion formal aufgriffen, indem die Mauern in den Erdboden versenkt und davor ein Graben ausgehoben wurde.
Diese zunächst unsichtbare Mauer ermöglicht erstmalig den fließenden Blick über den gestalteten Garten hinweg in die umgebende Natur. Der Park bildet so den artifiziellen Vordergrund für die weitläufige Landschaft dahinter.
Die Erfindung des Ha-Ha ist Ausgangspunkt für die Entstehung einer neuen Bewegung in der Landschaftsarchitektur:

"I call a sunk fence the leading Step for these reasons. No sooner was this simple enchantment made, than levelling, mowing, rolling, followed. The contiguous ground of the park without the sunk fence was to be harmonized with the lawn within; and the garden in its turn was to be set free from its prim regularity, that it might assort with the wilder country without." (Horace Walpole)

Der Schriftsteller und Gärtner Alexander Pope, Zeitgenosse von Charles Bridgeman und regelmäßiger Gast in Stowe, erkennt diese Neuerung als grundlegendes Prinzip jeder Gartenarchitektur:
"He gains all ends who pleasingly confounds Surprises, varies and conceal the bounds."

Seit 1730 übernimmt William Kent die weitere Gartengestaltung in Stowe und führt Bridgemans Auffassung von der Verbindung von Garten und Landschaft konsequent fort, indem er den Park als eine Abfolge von komponierten und theatralischen Szenen neu inszeniert. Kent, der als Landschaftsmaler in Italien ausgebildet wurde, lehnt die bis dahin propagierte Regelmäßigkeit und Symmetrie der Barockgärten ab. Wiesen, sogenannte "bowling-greens" dienen dort ausschließlich der Vergnügung durch gemeinsame Spiele des Adels, Statuen und Monumente sollen die ikonegraphische Bildung verbessern und die geistige Läuterung des Betrachters fördern.
Stattdessen pflanzt Kent die als "clumps" bezeichneten unregelmäßigen Baumgruppen, schafft künstliche Flußläufe und Täler, die der Natur nachempfunden sind. Die Skulpturen und Tempel setzt er nicht an geradlinig ausgerichtete Achsen, sondern auf Lichtungen in kleinen Gehölzen, wo sie entdeckt werden müssen.
Kents geschlängelte Wege, Wäldchen, Pavillons und Grotten bieten visuelle Abwechslung und sollen beim Spaziergänger die individuelle Empfindung für Anmut und €sthetik der Naturlandschaft steigern. Hogarth beschreibt in seiner "Analysis of Beauty" von 1753 die "naturhafte" Schönheit der Schlangenlinien, weil sie in "verschiedenen wellenförmigen Windungen das Auge durch beständige Veränderungen führen " .
Der Garten von Stowe ist somit sichtbarer Ausdruck des neuen Schönheits-Ideals der beginnenden Romantik, welches aus den Elementen der Natürlichkeit und des sanften †bergangs besteht.
Horace Walpole, der im Jahre 1770 ein Buch über englische Landschaftsgärten veröffentlicht, bewertet William Kent als den Pionier des Landschaftsparks.

"He leaped the fence, and saw all nature was a garden."

Allerdings ist die Gestaltung dieser Naturerlebnisse keine Kopie einer authentischen, rauen und unberührten Naturlandschaft. Es sind Natur-Szenarien, die in der Wildnis nicht aufzufinden sind und Architekturen, die historisch nie existiert haben. Für das Erlebnis des Spaziergängers ist es jedoch unwichtig, ob die Natur des Parks eine künstliche gestaltete Landschaft ist. Der Genuß der Großzügigkeit des Parks ist auch mit dem Wissen um das Vorhandensein des "A-ha" möglich.
Vielmehr ist es Kents Ziel, mit den Gestaltungsmitteln des Gärtners und Architekten im Betrachter Empfindungen der Ergriffenheit und Spannung zu erzeugen und zu steigern.
Historische Erklärungen würden das Erlebnis der Gartenszenen nur beeinträchtigen, während Anspielungen und Versatzstücke (Muscheln an dorischen Säulen!) die Einbildungskraft des Spaziergängers stärker beschäftigen. Der Tempel der Venus ist in diesem Zusammenhang nicht zur Weiterbildung des Betrachters in mythologischer Geschichte erbaut, sondern wirkt als ein sentimentales Monument in einer Landschaftsszenerie.
Er ist die architektonische Staffage für eine theatralische Szene des Parks.
Zudem bewegt man sich nicht als außenstehender Beobachter entlang dieser Szenerie, sondern hält sich im "Innern" des "Bildes" auf. Diese visuelle Nähe zu den Dingen, aus denen die Umgebung komponiert ist, verstärkt noch eine Wahrnehmung, die sich in Gefühlen äußern darf:

"He felt the delicious contrast of hill and valley, tasted the beauty of the gentle swell, and remarked how loose groves crowned an easy eminence wirh happy ornament." (Walpole)

Die intensiven Empfindungen der Neugier, Melancholie und Ergriffenheit waren dem zeitgenössischen Besucher nicht peinlich, sondern wurden als wertvoll und als natürlicher Ausdruck der Persönlichkeit angesehen. Der Spaziergänger dieser Zeit war stärker als heute zum Genuss seiner Gefühle fähig.
Die Typologie der Architektur, das Material und die Gestaltung der Oberfläche sind für William Kent in erster Linie eine Sammlung von Architekturfragmenten für ein Spiel mit Bedeutungen und Erwartungen. Die Tempel, verwitterten Steine und Muscheln wirken nicht durch ihre architektonische Ordnung oder Originalität, sondern durch die gedanklichen Verknüpfungen und Ahnungen des Betrachters. Die Materialien der Bauten von Stowe bringen ihre eigene Geschichte mit und die Architektur wird so zu einer gebauten Manifestation aus Assoziationen.
Dazu gehören die enttäuschten Erwartungen des Haha.